Autorin: Dipl.-Psych. Katrin Volkmer-Jäger

Autor: Dr. Hans-Peter Volkmer

Autor: Prof. Dr. Scott Stock Gissendanner (apl.)
Wissenschaftler im ärztlichen Dienst, Berolina Klinik

Prävention vor Rehabilitation: Teil V.

Die Prävention psychischer Überbelastung aus Sicht der Organisationsentwicklung.

Ein Gespräch mit Dipl.-Psych. Katrin Volkmer-Jäger und Dr. Hans-Peter Volkmer.

fortgesetzt
Wir präsentieren hier unsere Dialog-Reihe zum Thema „Prävention vor Rehabilitation: Betriebliche Maßnahmen zur Vorbeugung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen“. Für diesen Beitrag der Reihe tauschten wir uns mit dem Organisationsentwicklungsteam Katrin Volkmer-Jäger und Hans-Peter Volkmer aus. Der Betriebswirt Hans-Peter Volkmer hat 20 Jahre als Geschäftsführer eines sehr erfolgreichen mittelständischen Marktforschungsinstituts gearbeitet. Die Psychologin und Coach Katrin Volkmer-Jäger arbeitete zuletzt in derselben Firma als Organisationsberaterin und dann als HR Business Partner. Die beiden gründeten kürzlich eine Unternehmensberatung mit Schwerpunkt auf Personalmanagement unter New Work-Bedingungen.
Dieses ist die Fortsetzung des ersten Beitrags, der in unserer 2. Ausgabe im Jahr 2021 erschien: www.berolinaklinik.de/aktuelles/meldung/rubrik-praevention-vor-rehabilitation/
Scott Stock Gissendanner [SSG]: Können Führungskräfte die Motivationslage ihrer Mitarbeitenden immer noch gut kennen, wenn viele im Betrieb vorwiegend im Homeoffice arbeiten?
Hans-Peter Volkmer: Nicht zu 100%. Dafür benötigt man wirklich den ständigen persönlichen Kontakt. Daher ist mein Plädoyer: Möglichkeiten für den regelmäßigen persönlichen Kontakt herstellen! Z. B. haben wir auch vor Covid-19 unseren Mitarbeitenden jedes Jahr mehrere Reisen zum Hauptbüro bezahlt, damit sie flexibel regelmäßig bei uns persönlich sein konnten. Auch wenn solche Möglichkeiten das ständige Zusammenarbeiten im Büro nicht komplett kompensieren, tragen sie dazu bei, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass durch das Nutzen von Homeoffice wichtige Kommunikationsmöglichkeiten verloren gehen, die irgendwie ersetzt werden müssen.
SSG: Wie können Organisationen als Frühwarnsysteme psychischer Überbelastungen funktionieren, damit Überbelastungen sich nicht zu einer psychischen Erkrankung entwickeln?
Katrin Volkmer-Jäger: Eine Kultur schaffen, innerhalb der sich Mitarbeitende trauen, eine Überbelastung rechtzeitig anzusprechen - unter Kollegen, gegenüber dem Vorgesetzten etc. In jedem Team sollte jemand für das Thema zuständig sein. Es gibt mehrere Teammanagementkonzepte („Teamstern“, Scrum usw.), die betonen, dass in der Aufgabenverteilung im Team jemand für die Beziehungsarbeit zuständig gemacht werden soll. Diese Person kann auch das Team und seine einzelnen Mitglieder vor Überbelastungen jeglicher Art schützen.
Hans-Peter Volkmer: Ein guter Vorgesetzter sollte auch immer die Arbeitsbelastung seines Teams im Blick haben und durch regelmäßige Gespräche ein Gefühl dafür entwickeln, bei wem gerade eine hohe Belastung gegeben ist (hoher Arbeitsanfall, Konflikte mit Kund*innen, Kolleg*innen oder Vorgesetzten etc.). Bei kurzzeitigen Überbelastungen hilft dann oft bereits eine aktive, empathische Ansprache. Mittel- bis längerfristig müssen dann gemeinsam Lösungen gefunden werden.
SSG: Wie kann man betriebliche Organisationen nutzen, um gesundheitsförderndes Verhalten der Mitarbeitenden zu unterstützen?
Katrin Volkmer-Jäger: Man kann eine Kultur schaffen, in der Offenheit, Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung und Unterstützung normal sind. Zudem sollte man gesundheitsförderndes Verhalten fördern und belohnen, z. B. Rückenkurse im Betrieb, Betriebssport, Entspannung (Yoga, Autogenes Training), Ernährungskurse o. ä.
Hans-Peter Volkmer: Wichtig ist ebenfalls, dass betriebliche Maßnahmen auch in der Führungsriege gelebt werden. Die Mitarbeitenden dürfen nicht den Eindruck bekommen, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen von der Führung kritisch beäugt oder sogar belächelt werden. Also am besten machen auch die Führungskräfte mit.
SSG: Sind psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen noch Tabuthemen in Betrieben?
Katrin Volkmer-Jäger: Mein Eindruck ist, es wird mehr darüber gesprochen als früher. Burnout oder Depressionen z. B. sind inzwischen bekannt. Dabei scheint es aber gerade unter Führungskräften ein erklärtes Verständnis für ein Burnout bei anderen Personen zu geben (besonders bei Mitarbeitenden, die hierarchisch weiter „unten“ sind oder ersetzbarer erscheinen), aber bei ihnen selbst ist es noch tabu. Dadurch geraten insbesondere Führungskräfte unter Druck, wenn sie selbst betroffen sind. „Nicht funktionieren“ wird oft immer noch als schlimm wahrgenommen. Und die direkten Kolleg*innen haben meistens Verständnis, aber das kann schnell kippen, wenn die Angst davor, durch das Fehlen einer Kollegin oder eines Kollegen Mehrarbeit zu bekommen, selbst überlastet zu werden, hochkommt.
Hans-Peter Volkmer: Jemand, der noch nie Probleme mit der psychischen Gesundheit hatte, kann nicht nachvollziehen, wie es einem Erkrankten geht. Jeder versteht, dass man mit einem gebrochenen Bein oder einer Grippe nicht seiner Arbeit nachgehen kann. Es fällt aber schwer, zu verstehen, dass jemand nicht arbeiten kann, wenn er oder sie an einer Erschöpfungsdepression leidet – weil man sich nicht vorstellen kann, welche Symptome damit verbunden sind. Durch die Zunahme psychischer Erkrankungen im letzten Jahrzehnt kann man meiner Meinung nach nicht (mehr) von einem Tabuthema sprechen, jedoch ist noch häufig ein gewisses Unverständnis gegeben, wenn jemand mit einer diagnostizierten psychischen Erkrankung längere Zeit ausfällt. Weitere Aufklärung ist hier vonnöten.
SSG: Wie können Organisationen helfen, Menschen nach einer gut behandelten psychischen Erkrankung wieder in den betrieblichen Alltag zu integrieren? Ist der Kontakt zum/zur behandelnden Psychiater*in oder zur Reha-Klinik dafür notwendig?
Katrin Volkmer-Jäger: Am besten sollte schon vor der Rückkehr ein Gespräch stattfinden, was die Mitarbeitenden brauchen, um wieder gut im Unternehmen anzukommen. Wenn es die Erkrankung und der gesetzliche Rahmen zulassen, kann es für Betroffene sinnvoll sein, ab und an ein Update zu bekommen, welche Veränderungen es in der Organisation gibt, damit nicht zu viel Neues in den ersten Tagen nach einer Rückkehr auf sie einströmt. In jedem Fall sollte es zur Rückkehr eine berufliche Wiedereingliederung in Form eines verankerten Prozesses im Betrieb geben. Sozusagen ein erneutes „Onboarding“, der Situation angepasst. Dafür braucht es jemanden, der dafür zuständig ist, z. B. ein Rückkehrgespräch zu planen oder eine Patin / einen Paten zu bestimmen. Nach einer gewissen Zeit sollte auch in einem Gespräch überprüft werden, ob die Rückkehr in den Job gut gelungen ist oder wo noch nachjustiert werden kann.
Ein Kontakt zu einer behandelnden Psychiaterin bzw. einem behandelnden Psychiater kann sicherlich sinnvoll sein, um die Bedürfnisse der/des Mitarbeitenden besser zu verstehen und den Übergang für alle Beteiligten zu erleichtern. Aber ich befürchte, dass das hinsichtlich des Datenschutzes und gesetzlicher Vorgaben schwierig wird.
Hans-Peter Volkmer: Mit den Rückkehrenden sollte im Dialog besprochen werden, wie der Wiedereinstieg gestaltet werden sollte. Also z. B. im Sinne von einer Steigerung des Arbeitspensums einerseits und durch die Übernahme von Aufgaben mit ansteigender Komplexität andererseits. Hier sollten die verantwortlichen Führungskräfte empathisch sein und Geduld aufbringen.
Eine gute Integration bietet die Chance einer Win-Win-Situation vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels.
SSG: Gern bitte ich zum Abschluss, dass Sie folgende Aussage ergänzen: „Die berufsorientierte Prävention psychischer Erkrankungen funktioniert besser, wenn...?“
Katrin Volkmer-Jäger: ...eine gute Vertrauenskultur da ist. Dazu gehört der offene Austausch.
Hans-Peter Volkmer: …und wenn Führung klar definiert ist und Führungskräfte wirklich in Führung geschult sind.

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IREHA – Institut für Innovative Rehabilitation
 
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